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  • AutorenbildMichael Mutter

Plura cave disaster - zum Dritten. Analyse und Kommentar

Nach 2006 und 2014 ereignete sich am 3. April dieses Jahres im norwegischen Höhlensystem der Plura ein weiterer tödlicher Tauchgang. Beim Betroffenen handelt es sich um einen in der Tauch-Community sehr bekannten, äusserst erfahrenen und gut ausgebildeten Höhlentaucher. DAN hat die Hintergründe des Vorfalles rasch aufgearbeitet und in einer vorläufigen Analyse veröffentlicht. Deren Befund ist ebenso erhellend wie konsternierend.


Hafen Mols. Bildvorlage: Sidonia Ackermann.

Mein erster Gedanke, als ich den Hergang las, war: Es war nicht der Sauerstoff. Die Exposition war zu kurz und der äusserst erfahrene Taucher verwendete einen tadellos funktionierenden Rebreather, womit er kaum im sauerstofftoxischen Bereich tauchte. Mein zweiter Gedanke war: Natürlich war es der Sauerstoff. Aber nicht nur. Zunächst aber zur DAN-Analyse:


Medizinische Vorgeschichte

Im Gespräch mit der Familie stellte sich heraus, dass der Verstorbene im Jahr zuvor zum ersten Mal einen unprovozierten epileptischen Anfall erlitten hatte und dass es in seiner Familie sehr seltene und bis heute medizinisch ungeklärte epileptische Anfälle gibt. Diese wurden mit physischer Überanstrengung, Stress und Dehydrierung in Verbindung gebracht.


Der Betroffene fühlte sich am Morgen des Tauchganges fit, ausgeschlafen und verspürte keinen Jetlag trotz vorangegangenem Interkontinentalflug. Allerding litt er in der Woche vor der Reise nach Norwegen an einer Virusinfektion mit Grippe-Symptomen und Magen-Darm-Beschwerden, die möglicherweise zu einem Elektrolyt-Ungleichgewicht und einer Dehydrierung geführt haben. Letztere könnte durch den Interkontinentalflug verstärkt worden sein.


Kommentar

Ein unprovozierter epileptischer Anfall tritt ohne klaren Auslöser auf. Damit muss aus medizinischer Sicht eines festgehalten werden: Der Betroffene war nicht tauchtauglich. Und zwar fundamental nicht. Schon gar nicht für Höhlentauchen, was das Anspruchsvollste ist, was nicht-kommerzielles und nicht-militärisches Tauchen zu bieten hat.


Weil ein solcher Anfall immer und überall wieder auftreten kann, halten die Richtlinien der SUHMS (Swiss Underwater and Hyperbaric Medical Society) fest, dass frühestens nach 5 Jahren wieder getaucht werden darf, sofern alle folgenden 3 Kriterien erfüllt sind: Anfallsfreiheit während 5 Jahren, normales EEG (Elektroenzephalogramm = Hirnstromkurve), keine Notwendigkeit von antiepileptischen Medikamenten.


Der Grund dafür ist das hohe Rezidivrisiko (Risiko für ein erneutes Ereignis) eines solchen Anfalls. Es beträgt 27%, 36% resp. 43% nach 6, 12 resp. 24 Monaten. Dies ist auch der Grund, weshalb in der Schweiz nach einem ersten epileptischen Anfall eine Fahrkarenz für mindestens (!) 6 Monate für Personenwagen und 2 Jahre für höhere Kategorien gilt.


Aufgrund der Vorgeschichte und der Präsentation kommt DAN zum Schluss, dass es sich hier um ein medizinisches Geschehen handelte und nicht die Folge der Sauerstofftoxizität. Aber trat das Ereignis wirklich nur zufällig unter tragischen Umständen auf?


Es bestehen anhand der Schilderung des Hergangs kaum Zweifel, dass der Verstorbenen unter Wasser einen Grand-Mal-Anfall erlitt. Es handelt sich dabei um die dramatischste Manifestation einer Epilepsie mit Bewusstlosigkeit in Kombination mit unkontrollierten Zuckungen und Verkrampfungen der Extremitäten. Mutmasslich ist es initial zu einem fokalen Anfall gekommen, bei dem die Hirnstromaktivität nur in einem begrenzten Areal ausser Kontrolle geriet (sogenannter fokaler Anfall). Dies war der Moment, als der Betroffene versuchte, auf sich aufmerksam zu machen. Danach hat sich der Anfall generalisiert, d.h. die Hirnstromaktivität hat sich auf das gesamte Gehirn ausgebreitet, wodurch es zum Bewusstseinsverlust und generalisierten Krampfen kam.


Hirnstromaktivität und die Rolle des Sauerstoffes

Die Kontrolle der Hirnstromaktivtät ist ein Wunder der Natur. Verschiedene Umstände erhöhen sie und damit das Risiko eines epileptischen Anfalls. Typische Auslöser sind Schlafmangel, gewisse Medikamente und Flackerlicht. Und hier kommt auch der Sauerstoff ins Spiel. Wie wir wissen, kann ein erhöhter Sauerstoffpartialdruck einen epileptischen Krampfanfall als Ausdruck einer ZNS-Toxizität auslösen (Paul Bert-Effekt). Zwar gilt ein O2-Partialdruck unter 1.3 bar als sicher. Ob dies auch für Personen zutrifft, welche eine Veranlagung zu epileptischen Anfällen haben, weiss aber niemand. Die klinische Vernunft sagt einem, dass Sauerstoff in diesem Fall sehr wohl bereits in einem vermeintlich sicheren Bereich einen epileptischen Anfall auslösen kann. Tatsächlich demonstrierte vor kurzem eine Studie, welche im dekoblog bereits besprochen wurde, im EEG eine Übererregbarkeit der Grosshirnrinde bereits auf dem Niveau eines «sicheren» Sauerstoffpartialdruckes. Dies unterstreicht, dass hyperbarer Sauerstoff sehr wohl schon im akzeptierten Partialdruckbereich am Gehirn "etwas macht" und die Grenzwerte unbedingt einzuhalten sind. Der oben beschriebene Ablauf mit sekundärer Generalisation eines initial fokalen Anfalles würde gut passen zur Sauerstofftoxizität als Auslöser für den Zwischenfall in der Plura.


Kommen mehrere Risikofaktoren zusammen, potenzieren sie sich und das Risiko steigt weiter. Es ist deshalb keine gute Idee, im Urlaub Nächte durchzufeiern, sich unter Alkohol zu dehydrieren und am nächsten Morgen einen Nitroxtauchgang mit Ausreizen der MOD zu unternehmen.

Beim Zwischenfall in der Plura waren es Sauerstoff, wohl auch Stress und Anstrengung (ein Höhlentauchgang ist Stress), trotz des subjektiven Gefühls des Ausgeruhtseins auch Schlafmangel als Folge des Transatlantikfluges und wie erwähnt Dehydrierung und ggf. auch eine Dysbalance der Elektrolyte.


Zwischenfall beim Tauchen oder Tauchzwischenfall?

War der Todesfall also ein Zwischenfall beim Tauchen (incident while diving) oder ein Tauchzwischenfall (diving incident)? Ich meine, dass es sich auch um letzteren handelte und die Beurteilung der DAN-Analyse relativiert werden muss. Es waren zu viele Umstände vorhanden, die den Anfall beim Tauchen spezifisch begünstigten, insbesondere der Sauerstoff.


Viele offene Fragen

Abschliessend stellen sich weitere, drängende Fragen: Weshalb war der Betroffene überhaupt im Wasser? Wusste er nicht, dass er nicht tauchen durfte? Wie kann es sein, dass ein derart hoch brevetierter Instruktor sich dessen nicht bewusst war, zumal er aus einer tauchaffinen Familie stammt und diese eine Disposition zu epileptischen Anfällen aufweist? Wie steht es um die tauchmedizinische Beratung nach seinem ersten epileptischen Anfall? Gab es diese überhaupt? Wenn nein, warum nicht? Offenbart dieser Zwischenfall eine generelle, bedenkliche Wissenslücke auch vermeintlich hochqualifizierter Tauchinstruktoren bezüglich gesundheitlicher Risiken im Zusammenhang mit dem Tauchen? Wenn dies für Tauchinstruktoren zutrifft, die zwar ein medizinisches Grundwissen erworben haben, aber dennoch medizinische Laien sind, wie steht es dann um Tauchende ohne jegliche medizinische Ausbildung?


Ich kenne die Antworten auf diese Fragen nicht. Aber auch DAN scheint sich ähnliche Überlegungen zu machen, hat die Organisation doch zu einer Spendenaktion für ein Programm aufgerufen, welches das Bewusstsein für die Tragweite von epileptischen Anfällen beim Tauchen stärken soll, um in Zukunft derartige, tragische Vorfälle zu verhindern.

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