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  • AutorenbildMichael Mutter

Wirkt Sauerstoff tatsächlich narkotisch?

Aktualisiert: 1. März

Die Diskussion dürfte so alt sein wie das Gerätetauchen selbst: Wirkt Sauerstoff unter Druck narkotisch?


courtesy Patrick Rhyner und Karin Aggeler, Tauchchule H2O

Dass Stickstoff unter Pressluftatmung ab einer Tauchtiefe von ca. 30 m entsprechend einem Partialdruck von ca. 3 bar narkotisch wirkt und den Tiefenrausch auslösen kann, ist hinlänglich bekannt. Strategien, dies zu vermeiden, schliessen für das Sporttauchen die Verwendung von Nitrox (mit Sauerstoff angereichertes Atemgas zur Verminderung des Stickstoffanteils) und für tiefere Tauchgänge die Verwendung von Helium ein, welches nur minimal narkotisch wirkt.


Das Abschätzen der narkotischen Wirkung


Für die Abschätzung der narkotischen Wirkung des Atemgasgemisches lässt sich aus den Fraktionen der einzelnen Gase im Gemisch und ihrer spezifischen narkotischen Potenz die END (equivalent narcotic depth) berechnen. Die Methode wird verwendet, um für ein bestimmtes Atemgasgemisch und eine bestimmte Tauchtiefe die äquivalente Tiefe zu berechnen, die beim Atmen von Luft in etwa die gleiche narkotische Wirkung hervorrufen würde. Ob für diese Berechnung auch die Sauerstofffraktion einbezogen werden soll, wird immer wieder diskutiert. Der Extremtaucher und (ehemalige) Weltrekordhalter Nuno Gomes befürwortet bspw. die Berücksichtigung des Sauerstofffraktion kategorisch, wobei er die narkotische Potenz des Atemgasgemisches mit über die END hinausgehenden Methoden kalkuliert.


Die Grenze der Meyer-Overton-Korrelation


Die rationale Grundlage liefert die Meyer-Overton-Korrelation, welche die narkotische Potenz einer Substanz anhand ihrer Fettlöslichkeit klassifiziert. Demzufolge müsste Sauerstoff eine erhebliche Narkose verursachen - er hat eine doppelt so hohe Lipidlöslichkeit wie Stickstoff und eine achtunddreißigfache wie Helium - und würde zu stärkeren Symptomen führen als die, die durch Stickstoff verursacht werden. Die Erfahrung zeigt aber, dass dies nicht der Fall ist und es ist auch bekannt, dass viele Ausnahmen von der Meyer-Overton-Korrelation existieren. Für das Tauchen stellt sich somit die Frage, wie hoch die narkotische Wirkung von Sauerstoff in der Praxis tatsächlich ist und wie diese gemessen resp. objektiviert werden soll. So fusst die erwähnte Kalkulation von Gomes auch auf seinem subjektiven Eindruck der Wirkung des Atemgasgemisches.


Die Studie

Quelle: https://gue.com/blog/is-oxygen-narcosis-a-thing/

Eine aktuelle Studie von Vrijdag et al. geht dieser Frage mit einem cleveren Ansatz nach. Zwölf Probanden atmeten Luft und 100 % Sauerstoff bei normobaren Bedingungen sowie 100 % Sauerstoff bei 1.4 bar und 2.8 bar, während die psychometrische Leistung und die Wahrnehmung des «task loads» erfasst sowie ein Elektroenzephalogramm (EEG, Hirnstromkurve) abgeleitet wurden. Die hyperbaren Werte orientierten sich an den maximal erlaubten Sauerstoff-Partialdruckwerten für das Tauchen (1.4 bar) und für Druckkammerbehandlungen (2.8 bar). Die hyperbare Sauerstoffatmung verursachte keine relevante Veränderung des EEGs oder des psychometrischen Tests im Gegensatz zur Atmung von hyperbarer Luft (6 bar) in einem vorangegangenen Versuch der gleichen Gruppe, was als Ausdruck einer einsetzenden Stickstoffnarkose gedeutet wurde. Hingegen zeigte das EEG unter hyperbarem Sauerstoff Hinweise für eine Übererregbarkeit der Grosshirnrinde als Ausdruck einer ZNS-Toxizität.


Sauerstoff wirkt nicht narkotisch, wenn er innerhalb der gültigen Partialdruckgrenzen geatmet wird.

Diese Ergebnisse sind ein starker Hinweis, dass hyperbarer Sauerstoff innerhalb seiner allgemein akzeptierten Partialdruckgrenzen für das Tauchen (1.4 bar) und für Druckkammerbehandlungen (2.8 bar) nicht narkotisch wirkt.


Hohe Praxisrelevanz


Herauszustreichen an dieser Studie ist ihre praktische Relevanz, wurden doch bewusst die empfohlenen Grenzen für den Sauerstoffpartialdruck getestet und dies mit einer Kombination aus objektiven (EEG und psychomotorische Tests) sowie subjektiven Markern (Wahrnehmung des «task loads»). Die Resultate geben Tauchern viel Sicherheit bei der Wahl geeigneter Atemgasmischungen. Für das Sporttauchen und das technische Tauchen in «nicht-extremen» Bereichen bedeutet dies, dass die Sauerstofffraktion für die Abschätzung der narkotischen Wirkung des Atemgasgemisches nicht berücksichtigt werden muss, sofern die empfohlene Obergrenze eines maximalen Sauerstoffpartialdruckes von 1.4 bar nicht überschritten wird.


Die Sauerstofftoxizität ist im ZNS schon früh messbar.

Als Nebeneffekt demonstriert der Versuch eine Übererregbarkeit der Grosshirnrinde als Ausdruck einer ZNS-Sauerstofftoxizität, welche sich im EEG bereits auf dem Niveau eines «sicheren» Sauerstoffpartialdruckes nachweisen lässt. Dies unterstreicht, dass hyperbarer Sauerstoff sehr wohl am Gehirn "etwas macht" und die empfohlene Obergrenze (1.4 bar für das Tauchen) für hyperbaren Sauerstoff unbedingt einzuhalten ist.

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