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"Get high on your own supply" - aber sicher!

  • Autorenbild: Michael Mutter
    Michael Mutter
  • 15. Feb. 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Leser wollten wissen, ob die Wim-Hof-Methode und das holotrope Atmen für Apnoe-Taucher Vorteile bringen. Nachdem in einem ersten Teil auf das Eisbaden eingegangen wurde, möchte ich das Atmen thematisieren.


So geht Freitauchen im Eiswasser. Kaluna Freediving.


Beide Techniken beanspruchen transformative Auswirkungen auf den menschlichen Geist und Körper und haben ihre eigenen Befürworter gefunden. Sie unterscheiden sich aber in ihren Techniken, Zielen und Ansätzen.


Die Wim Hof Methode, entwickelt vom niederländischen Extremsportler Wim Hof, konzentriert sich auf Atemtechniken, Kälteexposition und Meditation, um die körperliche und geistige Gesundheit zu fördern. Die Methode umfasst spezifische Atemübungen, die dazu dienen sollen, den Sauerstoffgehalt im Körper zu erhöhen, das Immunsystem zu stärken und Stress abzubauen. Sie zielt darauf ab, die Selbstkontrolle und das Wohlbefinden zu verbessern und hat eher eine sportliche und gesundheitliche Ausrichtung.


Holotropes Atmen, von Christina und Stanislav Grof entwickelt, hingegen zielt auf tiefgreifende spirituelle Erfahrungen und emotionale Heilung ab. Es umfasst intensive Atemtechniken in einer unterstützenden Umgebung begleitet von Musik, um veränderte Bewusstseinszustände zu erzeugen. Holotropes Atmen wird oft mit der Verarbeitung von traumatischen Erfahrungen und der Suche nach spiritueller Erleuchtung in Verbindung gebracht. 


Hyperventilation als Mittel zum Zweck

Die angewandten Atemtechniken entsprechen bei beiden Methoden aus physiologischer Sicht einer gewollten Hyperventilation. Dies führt per Definition zu einem Absinken des CO2 im Blut, was eine Alkalose (Verschiebung des Blut-pHs in den basischen Bereich) verursacht. Bei der Wim Hof Methode, welche sich an die tibetanische Tummo Atmung anlehnt, kommt eine Hypoxämie (Sauerstoffmangel im Blut) hinzu, da nach 30 bis 40 tiefen und raschen Atemzügen das Anhalten des Atems für einige Sekunden instruiert wird. Im Gegensatz zum langsamen, tiefen Atmen, wie es bei Meditation, Yoga und verschiedenen Entspannungstechniken üblich ist, zielt die Wim Hof Atmung auf das Induzieren eines Erregungszustandes ab. Die Kombination aus Alkalose und Hypoxämie beeinflusst nachweislich das sympathische Nervensystem und die Modulation von Entzündungsreaktionen, was zur Ausschüttung von Katecholaminen (Stresshormonen) führt und die euphorisierende Wirkung dieser Methode erklärt, welche auch in anderen, einschlägigen Settings zur Luststeigerung genutzt wird.


Inkonsistente Resultate und Wissenslücken

Studien haben unterschiedliche Ergebnisse bezüglich der Wim Hof Methode geliefert. Eine ältere Studie deutete auf einen modulatorischen Effekt auf das angeborene Immunsystem hin, während eine 2023 publizierte, sehr lesenswerte Schweizer Studie, welche die wissenschaftlichen Erkenntnisse rund um die Wim Hof Methode ausgezeichnet zusammenfasst, nach einer 15-tägigen Intervention keine signifikanten Effekte auf physiologische oder psychologische Parameter nachweisen konnte. Mögliche Gründe sind zu kleine Studiengruppen oder eine zu kurze Beobachtungszeit. Die erhofften Benefits auf das vegetative System und das Immunsystem lassen sich wissenschaftlich nicht konsistent reproduzieren. Weil dazu aber keine Langzeitstudien existieren, besteht hier eine Wissenslücke.


Sicher aufgeräumt werden muss mit der irrigen Annahme, dass Hyperventilation durch eine höhere Sauerstoffversorgung zu einer Verbesserung der Vitalität führt. Die Evolution hat die Atmung derart optimiert, dass die Gewebe von Lungengesunden unter Normalbedingungen durch eine Steigerung der alveolären Ventilation nicht besser mit Sauerstoff versorgt werden. Auch ein Trainingseffekt auf die Atemmuskulatur mit dem Ziel einer Leistungssteigerung ist nicht zu erwarten, da die Atemreserven des Organismus so gross sind, dass sie auch bei Gesunden, Hochtrainierten (fast) keine Rolle für die Leistungslimitierung spielen.


"Get high on your own supply" - aber sicher!

Der positive Effekt auf die Befindlichkeit wird unter dem Motto «get high on your own supply» vermarktet. Es ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, wenn Anhänger von Wim Hof zuhause hyperventilieren, um sich selbst zu euphorisieren, und wenn daraus ein Geschäftsmodell abgeleitet wird. Tragisch wird es, wenn potenziell fatale Missverständnisse hinsichtlich der Rahmenbedingungen entstehen. So soll es in den letzten Jahren zu mehreren Todesfällen gekommen sein, weil Hyperventilieren von Anhängern der Wim Hof Methode im Wasser praktiziert wurde. Obwohl die Firma von Wim Hof empfiehlt, nie im Wasser oder nahe am Wasser zu hyperventilieren, ist es nicht abwegig, dass genau dies Wim Hof Jünger zur Effektsteigerung tun. Tatsächlich zeigt ein Video, wie eine Gruppe die Atemtechnik im Wasser praktiziert, bevor sie abtaucht. Ob es anlässlich einer Schulung unter persönlicher Führung von Wim Hof aufgenommen wurde, wie im Subtitel behauptet wird, lässt sich nicht überprüfen.


Nie hyperventilieren vor einem Freitauchgang!

Auf jeden Fall ist diese Praxis aus tauchmedizinischer Sicht haarsträubend. Der Grund liegt in der Atemregulation und ist als «shallow water blackout» bekannt: Hält man den Atem an, steigt im Blut der Gehalt von CO2, weil es nicht mehr abgeatmet wird, während der Sauerstoffgehalt sinkt. Die CO2-Konzentration erreicht schliesslich ein Niveau, welches den Atemreiz triggert und einen Atemzug auslöst. Dabei reizt CO2 das Atemzentrum viel stärker als Sauerstoffmangel. Hyperventilieren führt zu einem Absinken des CO2-Gehaltes im Blut und damit zu einem verzögerten Erreichen der Atemreizschwelle. Nach Hyperventilation kann der Atem deshalb länger angehalten werden. Das Problem besteht darin, dass der Sauerstoffgehalt während des Atemanhaltens so weit absinken kann, dass ein Blackout auftritt, bevor der Atemreiz durch das CO2 einsetzt. Diesen Effekt nennt man «shallow water blackout», weil er typischerweise beim Tauchen in flachem Wasser, beispielsweise beim Schnorcheln oder beim Wetteifern um das längste Atemanhalten in Schwimmbädern, auftritt. Bewusstlosigkeit unter Wasser mit akuter Gefahr des Ertrinkens sind die Folge. Dies ist der Grund, weshalb sich in den USA in Schwimmbädern ein Apnoe-Tauch-Bann («No Breath Holding!») breit macht, welcher zunehmend zum Problem für die Freedive-Szene wird. Medienberichte weisen darauf hin, dass Todesfälle nach der Anwendung der Wim Hof Methode im Wasser forensisch auf "shallow water blackouts" zurückgeführt wurden.



shallow water blackout. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Schwimmbad-Blackout

Unabhängig von der angewandten Methode sollte vor einem Freitauchgang niemals hyperventiliert werden. Ausgebildete Apnoetaucher hyperventilieren nicht, sondern praktizieren eine andere Technik, und in Freitauchkursen wird Hyperventilation ausdrücklich untersagt. Es ist wichtig zu betonen, dass 2 bis 3 Mal tief durchzuatmen vor dem Abtauchen noch kein Hyperventilieren darstellt.


Fazit

Insgesamt ist nicht auszuschliessen, dass die Wim Hof Methode durch die Kombination von Meditation, Eisbaden und Hyperventilation positive Auswirkungen auf das vegetative Nervensystem, das Immunsystem und die Befindlichkeit zeitigt, auch wenn diese wissenschaftlich nur bedingt fassbar sind. Die Frage nach nachhaltigen, günstigen Effekten bleibt aus wissenschaftlicher Sicht offen. Für eine sichere Praxis sollten die möglichen Risiken des Eisbadens, insbesondere für Menschen mit Herzerkrankungen, und das absolute Verbot des Hyperventilierens vor einem Untertauchen im Wasser beachtet werden.

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