Brauchen wir O’Dive? – Personalisierte Dekompression und Mythen im Tech-Tauchen
- Michael Mutter
- vor 12 Minuten
- 3 Min. Lesezeit
Der Artikel „Of Bubbles and Dive Profiles – One Diver’s Journey into Personalized Decompression“ im InDEPTH Magazine beschreibt die Erfahrungen einer Tauchinstruktorin mit dem Doppler-basierten Messgerät O'Dive von Azoth Systems, das helfen soll, Tauchprofile zu personalisieren und sicherer zu gestalten. Der Artikel ist gut geschrieben und bietet interessante Einblicke – nicht nur in die Technologie selbst, sondern auch in das Mindset vieler Tech-Taucher und vor allem ihrer Ausbilder.

Ein neues Gadget
Azoth Systems bewirbt O'Dive als Tool zur personalisierten Dekompression. Es handelt sich um ein Ultraschallgerät, das nach dem Tauchgang die Menge venöser Gasblasen (VGE) misst. Dazu hält man das Gerät etwa 20 Sekunden lang auf die Vene unter dem Schlüsselbein (V. subclavia). Die Daten werden per Bluetooth an eine App gesendet und anschließend in der Cloud analysiert. Die Auswertung erfolgt dabei nicht transparent, sondern über einen firmeneigenen Algorithmus. Der Nutzer erhält kein direktes Blasenzähl-Ergebnis, sondern lediglich eine Bewertung der „Profilqualität“ sowie Vorschläge zur Optimierung des nächsten Tauchgangs – etwa durch verlängerte flache Stopps. O’Dive ist also eine bewährte, aber alte Technologie, welche durch eine Blackbox-Analyse «modernisiert» wurde. Was sie genau rechnet, wird nicht offengelegt.
Die grosse Blasen-Verwirrung
Indem es nach dem Tauchgang die Menge von VGE misst und daraus Empfehlungen für zukünftige Tauchprofile ableitet, soll O’Dive Tauchgänge sicherer machen. Doch hier beginnt das Problem: Es gibt keine belastbare Evidenz, dass diese Blasenmessungen tatsächlich zur Verbesserung der Tauchsicherheit beitragen.
Wie David Doolette in seiner Studie „Within-diver variability in venous gas emboli (VGE) following repeated dives“ eindrucksvoll zeigte, ist die intraindividuelle Varianz bei der Blasenbildung enorm. Derselbe Taucher kann nach identischen Tauchgängen an einem Tag viele VGE zeigen, am nächsten kaum welche – ohne klare Erklärung.
Doch nicht nur das: sogar höchstgradige VGE, wie sie in diesem Beitrag besprochen wurden, führen in 90% bis 95% der Fälle nicht zu einer Dekompressionskrankheit (DCI). Zwar traten DCI tendenziell bei höherer VGE-Belastung auf, allerdings nur in vereinzelten Fällen.
Es ist bis heute unklar, warum diese Blasen überhaupt entstehen, warum sie so schwanken und welchen Einfluss sie wirklich auf die Entstehung einer Dekompressionskrankheit haben. Dass man mit ihrer Reduktion automatisch sicherer taucht, ist bestenfalls eine unbelegte Hypothese. (Hier geht es zum Blogbeitrag der Studie auf dekoblog.ch.)
Folgendes Zitat bringt den Wert des Gerätes auf den Punkt:
"For an individual, measuring VGE ist not a useful tool."- David Doolette, Rebreather Forum 4
(«Für eine individuelle Person ist die Messung der VGE kein nützliches Verfahren.»)
Das Mindset der Tech-Community
Der Artikel ist auch aufschlussreich, weil er einen tiefen Einblick in das Denken vieler Tech-Taucher und Ausbilder gibt – und genau hier liegt ein zentrales Problem: Das Festhalten an überholten Konzepten wie den sogenannten „deep stops“. Diese sind längst wissenschaftlich widerlegt. Zahlreiche Studien, unter anderem von Doolette, zeigen, dass solche Stopps die langsamen Gewebe zusätzlich sättigen, ohne einen positiven Effekt auf die Dekompression zu haben. Bereits Bühlmann hat in seinen Modellen vor Jahrzehnten dargelegt, dass ein zügiger Aufstieg in flachere Tiefen mit ausreichender Verweilzeit dort viel effektiver ist. Leider halten sich diese Mythen hartnäckig in der Tech-Tauchszene, nicht zuletzt weil sie von Instruktoren immer noch gelehrt werden.
Extended range mit Pressluft – bitte nicht!
Ein weiterer bedenklicher Aspekt: Im Artikel wird auf den Extended Range Kurs bei TDI Bezug genommen, in dem bis zu 45 m tief mit Pressluft getaucht wird. Auch das ist eine Praxis, die dringend aufgegeben werden sollte. Die Stickstoffnarkose in dieser Tiefe ist nicht nur spürbar, sondern potenziell gefährlich. Dazu kommt das Problem der Gasdichte, auf welches in diesem Beitrag hingewiesen wurde. Tauchgänge mit Pressluft auf über 40 m Tiefe sind schlicht und ergreifend obsolet. Solche Kurse vermitteln den falschen Eindruck, dass diese Praxis anerkannt ist. Das ist sie nicht. Auch um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, braucht es kein O'Dive, sondern schlicht eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Tauchphysiologie.
Fazit
Falls Azoth Systems dazu beiträgt, eine veraltete und falsche Tauchpraxis zu korrigieren, wäre das zu begrüßen. Aber dazu braucht man kein teures Gerät. Wer sich an moderne, evidenzbasierte Dekompressionsstrategien hält mit flacheren Stopps und mehr Dekompressionsgas taucht sicherer auch ohne O’Dive. Ganz aufräumen muss man mit der Vorstellung, dass die Messung von VGE individuell etwas nützt, wie Doolette eindrücklich zeigen konnte. Mit Personalisierung hat dies gar nichts zu tun. Das Geld für O’Dive kann man sich sparen. Besser investiert man es in mehr Gasreserven, um länger und sicherer zu dekomprimieren – und eine fundierte Tauchausbildung.
Комментарии