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AutorenbildMichael Mutter

Über das Schicksal von arteriellen Gasembolien und deren Folgen

Kommt es zu arteriellen Gasembolien, bedeutet dies nicht zwingend eine Dekompressionskrankheit. Im Gegenteil, meist passiert gar nichts. Warum ist das so?

courtesy Patrick Rhyner und Karin Aggeler, Tauchschule H20

Arterielle Gasembolien (AGE) sind eine Ursache der Dekompressionskrankheit (DCI). Sie gelangen nach Tauchgängen aus der venösen Zirkulation unter Umgehung des Lungenfilters via kardiale (z.B. PFO = offenes Foramen ovale) oder pulmonale (intrapulmonale arteriovenöse Anastomosen, IPAVA) Rechts-Links-Shunts in die arterielle Zirkulation, wo sie in einem Endorgan (z.B. Gehirn, Niere etc.) durch Verstopfen von kleinen Gefässen u.U. dramatische Folgen hervorrufen (z.B. Schlaganfall). Aus diesem Grund zielt das Verhalten beim Tauchen darauf ab, Gasblasen erst gar nicht entstehen zu lassen, in erster Linie durch das Einhalten der Dekompressionslimiten, aber auch durch das Beachten weiterer Regeln des «low bubble diving»,wie sie die SUHMS empfiehlt.


Kommt es zu AGE, treten dennoch nur sehr selten Endorganschäden auf. Weshalb dies so ist, erläutert eine Studie aus dem letzten Jahr, welche sich zwar spezifisch mit dem Dekompressionssyndrom des Innenohres befasst, dabei aber sehr grundsätzliche Einblicke in das Verhalten von AGE gibt.


Das Schicksal von arteriellen Gasembolien


Der Artikel erläutert anhand gaskinetischer Modelle wie sich Gasblasen in der arteriellen Zirkulation verhalten. Hier wird es richtig interessant. Gelangt eine Gasblase ins arterielle Blut, trifft sie auf eine Umgebung, die nicht von Inertgas übersättigt, sondern untersättigt ist. Weshalb? Inertgas wird während der Dekompressionsphase in der Lunge aus dem venösen Blut abgeatmet. Das arterielle Blut ist aus diesem Grund arm an Inertgas. Dies hat zur Folge, dass der Partialdruck des Inertgases in der Gasblase, welche sich in der arteriellen Zirkulation befindet und aus dem venösen System eingeschwemmt wurde, höher ist als der Partialdruck des Inertgases im sie umgebenden arteriellen Blut. Deshalb diffundiert Inertgas aus der Blase hinaus ins Blut und aus diesem Grund beginnt die Blase zu schrumpfen, sobald sie in die arterielle Zirkulation gelangt. Ist der Weg zu einem Endorgan (z.B. Gehirn, Innenohr) weit genug, besteht genügend Zeit, dass die AGE soweit schrumpft, dass sie keinen Schaden mehr anrichtet.


Gelangt eine Gasblase ins arterielle Blut, schrumpft sie rasch.

Wie lange benötigt eine Gasblase bis ins Innenohr resp. ins Gehirn? Kommt darauf an, wie sie dorthin gelangt. Am wenigsten Zeit benötigt sie, wenn sie auf dem Weg zum Innenohr ein PFO passiert. Dann ist sie ungefähr 3 s lang arteriellen Bedingungen ausgesetzt, beim Passieren einer IPAVA sind es 5.5 s und bei der Passage von pulmonalen Kapillaren (gelingt nur sehr kleinen Blasen) ca. 8 s. Wie erwähnt schrumpft die Blase während dieses Transits, da das Inertgas über den Konzentrationsgradienten von innerhalb nach außerhalb der Blase diffundiert.


Die Abhängigkeit von der Tauchtiefe


Je höher der Druck resp. je tiefer und länger der Tauchgang, desto dichter konzentriert ist das Gas im Inneren einer Blase. Folglich schrumpfen Blasen gleichen Durchmessers bei hohem Druck (d.h. nach langen, tiefen Tauchgängen) langsamer und haben eine längere Lebensdauer als nach flachen, kurzen Tauchgängen. Die gegenwärtig geschätzte Lebensdauer von Blasen, die klein genug sind, um das Lungenkapillarbett zu durchqueren, lässt vermuten, dass es unwahrscheinlich ist, dass sie den Transport zum Innenohr oder Gehirn überleben, auch nicht beim Tieftauchen. Dies ist neben dem Lungenfilter einer der Hauptgründe, weshalb der Nachweis von VGE so schlecht mit dem Auftreten einer DCI korreliert.



Überleben arterieller Gasblasen, modifziert nach "Advances in Decompression Theory and Practice", David Doolette, RF4. www.rebreatherforum.tech

Anders sieht es aus beim Übertritt über ein PFO oder eine IPAVA. Ist die Blase gross genug und ist der Inertgasdruck in der Blase hoch genug, reicht die Zeit bis zum Erreichen des Endorganes (z.B. des Gehirns oder Innenohres) nicht aus, dass die Blase genügend schrumpft. Sie setzt sich in einer Kapillare fest und führt zu Gewebeschäden mit entsprechenden Symptomen. Das Risiko ist bei einem kardialen Rechts-Links-Shunt (z.B PFO) grösser als bei einem pulmonalen (IPAVA), da die Transitzeit bei ersterem kürzer ist (3 s vs. 5.5 s, vergl. linker Graph in der Abbildung). In seinem Vortrag anlässlich des Rebreather Forums 4 (RF4) zeigte David Doolette, einer der Autoren der Studie, dass beim Sporttauchen auch dann kaum mit einer manifesten AGE zu rechnen ist; ganz einfach deshalb, weil der Druck in einer arterialisierten Blase relativ gering ist und sie bis zum Erreichen des Gehirns zu stark schrumpft, um Schaden anzurichten. Je tiefer getaucht wird, desto höher wird allerdings das Risiko, dass eine AGE das Gehirn oder Innenohr erreicht, um Symptome hervorzurufen, da wegen des höheren Inertgasdruckes im Innern der Blase die Zeit für ein genügendes Schrumpfen nicht mehr ausreicht.


Schlechte Nachrichten für technische Taucher


Sind Sporttaucher davon kaum betroffen, steigt das Risiko deutlich an ab ca. 60 m Tauchtiefe. Etwas Abhilfe schafft der Wechsel auf ein Dekogas mit hyperbarem Sauerstoff, da das Milieu der Gasblase durch Minimieren des Inertgasdruckes (bei 100 % Sauerstoffatmung im Idealfall praktisch Null) weiter optimiert und damit die Blase zu noch stärkerem Schrumpfen bewegt wird (vergl. Abbildung, rechter Graph). Der Effekt ist aber nicht sehr gross, weil die Zeit für das Schrumpfen der Blase sich nicht ändert und nur kurz ist. Deshalb muss gerade beim technischen Tauchen das Provozieren von AGE unbedingt vermieden werden. Aus diesem Grund sollen Manöver, welche ein PFO öffnen, unter allen Umständen unterlassen werden. (Noch einmal: Das PFO stellt, weil es eine sehr direkte Abkürzung zum Gehirn ist, einen Hauptrisikofaktor für eine manifeste AGE dar). Dazu gehört bspw. das Aufblasen von Signalbojen von Mund, worauf auch schon hingewiesen wurde.


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