Schwindel beim Tauchen ist kein seltenes Phänomen und kann verschiedene Gründe haben. Dieser Blogpost wirft Lich auf eine Ursache, die möglicherweise häufiger vorkommt als angenommen.
Fallvignette
Ein gesunder junger Mann unternahm einen Schulungstauchgang mit Pressluft unter Begleitung einer Instruktorin. In der 5. Minute auf 20 m Tiefe verspürte er akuten Schwindel und Desorientierung, was er der Instruktorin signalisierte. Diese stellte Apathie und horizontales Augenzittern fest und leitete einen kontrollierten Aufstieg auf 10 m ein, worauf die Symptome vollständig verschwanden. Der Tauchgang wurde dort fortgesetzt und problemlos beendet. Die Erstdiagnose lautete auf Tiefenrausch.
Nach 70 Minuten Oberflächenpause folgte ein zweiter Tauchgang (17 m, 25 Minuten), der ebenso problemlos verlief wie zwei weitere Tauchgänge in den folgenden Tagen bei maximalen Tiefen von 16 m.
Beim nächsten Schulungstauchgang traten nach 5 Minuten auf ca. 20 m erneut akuter Schwindel, Desorientierung und ein abruptes Absinken auf, sodass der Tauchlehrer eingreifen und einen assistierten Aufstieg einleiten musste. An der Oberfläche verschwanden die Symptome wieder vollständig. Alle Tauchgänge fanden in Schweizer Seen bei 8–9 °C Wassertemperatur statt, ohne zusätzliche Beschwerden wie Druckausgleichsprobleme oder Gehörverlust. Eine HNO-Untersuchung war unauffällig, und der Taucher war bei allen Tauchgängen fit und erkältungsfrei. In der Vergangenheit waren nie Mittelohrprobleme aufgetreten. Der Betroffene verfügte über ein Ein-Stern-Brevet (CMAS) und ein aktuelles Tauchtauglichkeitszeugnis.
Was könnte die Ursache für den Schwindel unter Wasser sein?
Analyse
Die Umstände deuten nicht auf einen Tiefenrausch hin, da die Tiefe zu gering war (maximaler Stickstoffpartialdruck 2.4 bar). Auch ein Barotrauma ist bei fehlenden Schmerzen oder Druckausgleichsproblemen unwahrscheinlich. Auffällig ist jedoch das wiederholte Auftreten der Beschwerden auf 20 m, verbunden mit Augenzittern (Nystagmus), der beim Aufstieg sofort verschwand. Dies, in Kombination mit den niedrigen Wassertemperaturen und der unauffälligen HNO-Untersuchung, spricht für einen kalorischen Nystagmus als Ursache.
Ein Nystagmus ist eine unwillkürliche, rhythmische Augenbewegung mit einer langsamen Drift in eine Richtung und einer schnellen Korrektur in die andere Richtung. Genau diesen hat die Tauchlehrerin unter Wasser beobachtet. Er ist Folge einer Fehlfunktion des Innenohres im Bereich der Bogengänge oder einer Störung des Gleichgewichtssystems auf der Ebene des Gehirns.
Der kalorische (durch Temperatur verursachte) Nystagmus ist ein Phänomen, das beim Testen des Gleichgewichtssystems beobachtet wird: Wenn ein Gehörgang mit warmem oder kaltem Wasser gespült wird, stimuliert der Temperaturunterschied die Endolymphe (die Flüssigkeit) in den Bogengängen. Dadurch entsteht im Bogengang eine Strömung wie bei einer Kopfbewegung. Als Folge dessen tritt ein Nystagmus in Kombination mit einem Drehschwindelgefühl auf. Wer schon einmal eine Gehörgangsspülung wegen Verstopfung durch Ohrenschmalz hatte, kennt das Phänomen wohl. Man kann sich gut vorstellen, dass dies auch beim Tauchen in kaltem Wasser passiert, wenn die Gehörgänge nicht in gleichem Mass dem Wasser ausgesetzt werden, zum Beispiel wenn die Kopfhaube nicht beidseits gleich sitzt.
Gewisse Schwindelsyndrome, welche beim Tauchen auftreten, scheinen nur durch die Annahme einer relevanten kalorischen Reaktion des Innenohres erklärbar zu sein, insbesondere dann, wenn wie bei unserem Taucher keine Auffälligkeiten in der spezialärztlichen Untersuchung festzustellen sind und keine weiteren Gründe für den Schwindel wie ein Barotrauma, ein Tiefenrausch oder die Dekompressionskrankheit vorliegen. Die Symptome treten typischerweise nach problemlosem Abstieg innerhalb der ersten 5 Minuten des Tauchganges auf und neigen dazu, bei ähnlichen Tauchgängen unter ähnlichen Bedingungen erneut aufzutreten (1). Vorstellbar ist auch eine seitendifferente Empfindlichkeit des Gleichgewichtsorganes auf äussere Reize. Diese wäre schwierig und nur durch spezielle, fachärztliche Untersuchungen festzustellen.
Empfehlungen
Dem Taucher wurde empfohlen, vorerst nur mit erfahrenen Begleitern und unter einfachen Bedingungen zu tauchen. Nachttauchgänge, schlechte Sicht und größere Tiefen sind zu vermeiden, und die weitere Ausbildung wird erst bei wärmeren Bedingungen im Frühjahr fortgesetzt.
1) Edmonds C. et al. Diving and Subaquatic Medicine (S.445). CRC Press. Kindle-Version.
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