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AutorenbildMichael Mutter

Was sind optimale Gradientenfaktoren? Erstaunliche Erkenntnisse der belgischen Marine.

Aktualisiert: 21. Apr.

Im Jahr 2018 führte die belgische Marine für ihre militärischen Taucher einen handelsüblichen Tauchcomputer (Shearwater Perdix™) ein und liess die Standardeinstellungen der Gradientenfaktoren überprüfen. Die Resultate sind bemerkenswert.


Tauchplatz Aphrodite, Walensee. Bild: Karin Aggeler
Quick-take: GF-Einstellungen überdenken. So weit auftauchen wie möglich und sich viel Zeit für das Austauchen nehmen.

Das Bühlmann-(und Keller!)-Dekompressionsmodell ist das am weitesten verbreitete und wird in vielen Tauchcomputern verwendet. Für verschiedene Gewebe berechnet es die maximale Übersättigungstoleranz, welche beim Auftauchen nicht überschritten werden darf, um die Dekompressionskrankheit (DCI) zu vermeiden. Taucher können Gradientenfaktoren (GF) verwenden, um festzulegen, wie nahe sie dieser Grenze beim Auftauchen kommen möchten. Ein hoher GF bedeutet, dass näher an die Grenze herangetaucht wird, während ein niedriger GF einen grösseren Abstand gewährleistet. Normalerweise wählt man zwei Faktoren: GF low (oder GF lo) für das initiale Auftauchen aus der Tiefe und GF high (oder GF hi) für das flache Austauchen am Ende des Tauchgangs. Ein gängiges Setting ist beispielsweise GF lo/GF hi 30/70, was bedeutet, dass man zuerst nur bis 30% des maximal Zulässigen aufsteigt (bspw. bei einem 40 m Tauchgang anfangs statt direkt auf 6 m nur auf 23 m), dort zur Vermeidung von Gasblasenbildung in den lebenswichtigen Organen einen Tiefenstopp durchführt und dann am Ende des Tauchgangs zügiger aufsteigt.

Stimmt das Paradigma, dass tiefe GF lo besser vor der Dekompressionskrankheit schützen?

Seit der Einführung der GF gilt weit verbreitet das Paradigma, dass ein Tauchgang desto sicherer ist, je tiefer insbesondere der GF lo gewählt wird, und deshalb tiefe GF lo und etwas höhere GF hi gewählt werden müssen, wie im oben erwähnten Setting.


Die Standardeinstellungen der Gradientenfaktoren beim Shearwater Perdix™ Tauchcomputer betragen GF lo/GF hi 30/70. Deren Zwechmässigkeit liess die belgische Marine für Lufttauchgänge bis 60 m ohne Wiederholungen untersuchen, um ihren Tauchern optimale Richtlinien zur Verfügung stellen zu können.


Als Referenzen dienten (u.a.) wegen ihrer sehr guten Validation und Zuverlässigkeit in der Vorhersage einer DCI die Luftdekompressionstabellen der US Navy. Das im Shearwater Perdix™ verwendete Dekompressionsmodell (Bühlmann ZH-L16C Algorithmus mit GF) wurde in Python programmiert. Dann wurden die GF-Einstellungen optimiert, um mit dem Perdix-Modell Dekompressionspläne für verschiedenste Tauchgänge zu erstellen, die den in den US Navy-Tabellen vorgeschriebenen so nahe wie möglich kamen.

Die Standardeinstellungen im Shearwater Perdix™ führen nicht zu weniger Dekompressionskrankheit - im Gegenteil.

Dabei stellte sich heraus, dass die Referenzprofile nur angenähert werden konnten, wenn der GF lo 100 % betrug und der GF hi maximal auf 75 % reduziert wurde. Dies bedeutet im Klartext, dass das Bühlmann-Modell nur sehr geringfügig angepasst und auf Tiefenstopps ganz verzichtet werden musste. Es wurde kein Hinweis darauf gefunden, dass die Verwendung der Standard-GF-Einstellung (30/70) zu einer sichereren Dekompression bei Lufttauchgängen bis zu einer Tiefe von 60 Metern im Meerwasser führt - eher im Gegenteil.

Der Nachteil tiefer GF ist seit Jahren bekannt.

Sind diese Resultate überraschend? Nicht wirklich. Die Verwendung von Gradientenfaktoren in der Art der Perdix-Standardeinstellungen führt zu tieferen Anfangsstopps, während denen die lebenswichtigen Organe zwar entsättigt werden, führen aber auch zu einer stärkeren Übersättigung der langsameren Gewebe, was per saldo zu einem erhöhten DCI-Risiko führt. Dieser Nachteil der GF ist seit einigen Jahren hinlänglich bekannt (bspw. Doolette), wird aber noch immer breit ignoriert.

Die Studie suggeriert einen eigentlichen Paradigmenwechsel für die Wahl der Gradientenfaktoren.

Ein eigentlicher Paradigmenwechsel aber bedeutet das Resultat dieser Studie, den GF lo höher zu wählen als den GF hi. Dies widerspricht der gängigen Praxis diametral und Tauchcomputer lassen eine solche Einstellung (z.B. GF 100/70) gar nicht zu. Die beste Näherung wäre gemäss dieser Studie eine symmetrische GF-Einstellung, bei der die GF identisch zwischen GF 75/75 und 95/95 gewählt würden. Damit zeigt sich einmal mehr, dass von sehr niedrig-prozentigen GF lo abzusehen ist.


Als Konsequenz aus dieser Studie wurde den belgischen Marinetauchern abgeraten, die Standard-GF-Einstellungen zu verwenden, und stattdessen empfohlen, symmetrische GF-Einstellungen einzusetzen.

Für die Tauchpraxis bedeutet dies: Den ersten Dekostopp so nahe an der Oberfläche wie möglich durchführen, sich aber viel Zeit für das Austauchen nehmen. Hohe GF wählen!

N.B. Mischgas- und Repetitivtauchgänge wurden in dieser Studie nicht untersucht.

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