Viele Menschen gewinnen nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkten, Schlaganfällen oder venösen Thromboembolien dank medizinischer Fortschritte und gezielter Lebensstiländerungen ihre körperliche Leistungsfähigkeit zurück – oft sogar so weit, dass sie wieder tauchen können. Gleichzeitig erfordert ihre Situation jedoch die lebenslange Einnahme von Blutverdünnern (Antikoagulantien).
Dies wirft wichtige Fragen auf: Ist das Tauchen unter Antikoagulantien sicher? Welche spezifischen Risiken gehen mit diesen Medikamenten beim Tauchen einher? Und – vielleicht am bedeutendsten – welche Auswirkungen haben die zugrunde liegenden Erkrankungen, die die Einnahme der Medikamente notwendig machen, auf die Tauchsicherheit?
Dieser Beitrag beleuchtet die besonderen Aspekte, die Taucherinnen und Taucher unter Antikoagulation beachten sollten. Er richtet sich nicht nur an die Betroffenen selbst, sondern auch an ihre Tauchpartner. Ein fundiertes Verständnis der Risiken und Überlegungen beim Tauchen unter Blutverdünnung trägt dazu bei, dass alle Beteiligten auf potenzielle Probleme gut vorbereitet sind.
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Antikoagulanzien:
Sie greifen in die Gerinnungsfaktoren im Blut ein, indem sie deren Produktion oder Wirkung hemmen.
Gängige Beispiele sind:
Vitamin-K-Antagonisten: Tabletten. Dazu gehört Marcoumar (Phenprocoumon, US Warfarin). Erfordert häufige Überwachung der Gerinnungshemmung mittels INR (International Normalized Ratio, früher „Quick“-Wert), um therapeutische Werte zu gewährleisten.
Direkte orale Antikoagulanzien (DOACs): Tabletten. Dazu gehören Wirkstoffe wie Rivaroxaban (Xarelto), Apixaban (Eliquis) und Dabigatran (Pradaxa), die eine besser vorhersehbare Wirkung ohne routinemäßige Überwachung gewährleisten.
Heparin und niedermolekulares Heparin (z. B. Enoxaparin): Subkutane Anwendung durch Spritzen. Häufig kurzfristig eingesetzt, insbesondere im Krankenhaus oder zur Vorbeugung von Thrombosen auf Langstreckenflügen.
Thrombozytenaggregationshemmer (Plättchenhemmer):
Sie verhindern, dass die Blutplättchen verklumpen, ein früher Schritt der Gerinnselbildung.
Gängige Beispiele sind:
Aspirin: Tablette. Wird häufig zur langfristigen Prävention von Schlaganfällen und Herzinfarkten eingesetzt.
Clopidogrel (Plavix): Tablette. Wird häufig nach dem Einsetzen eines Stents in die Herzkranzgefässe (Gitterröhrchen nach Ballonieren einer Verengung) verschrieben.
Ticagrelor (Brilique) und Prasugrel (Efient): Tablette. Stärkere Optionen. Werden häufig nach der Implantation von Stents oder bei Herzinfarkten verschrieben.
Die zugrundeliegende Krankheit: Die wahre Herausforderung
Auch wenn die Blutverdünnung selbst Risiken birgt, sollte man sich bewusst machen, dass in den meisten Fällen die zugrunde liegende Erkrankung, die eine solche Therapie erforderlich macht, der entscheidendere Faktor für die Tauchsicherheit ist. Ein früherer Herzinfarkt, eine Stentimplantation, eine koronare Bypass-Operation, Vorhofflimmern, eine tiefe Venenthrombose, eine Lungenembolie oder ein Schlaganfall können die körperliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen oder zu medizinischen Komplikationen während des Tauchens führen.
1. Herz-Kreislauf-Erkrankungen:
Erkrankungen wie Vorhofflimmern oder Herzinfarkte erfordern eine Antikoagulation resp. Plättchenhemmung, um die Bildung von Blutgerinnseln zu verhindern. Sie können jedoch auch auf eine verminderte Leistungsfähigkeit des Herzens hinweisen, was die Fähigkeit von Tauchern, auf Belastungen unter Wasser zu reagieren, beeinträchtigen kann.
2. Venöse Thromboembolien (VTE):
Personen mit einer Vorgeschichte von Venenthrombosen oder Lungenembolien haben ein erhöhtes Risiko für ein erneutes Auftreten von Gerinnseln, vor allem während langer Flüge oder Autofahrten zu den Tauchplätzen. Darüber hinaus fördert eine Dehydratation das Thromboserisiko. Deshalb sind auch lange Reisen nach dem Tauchen risikobehafteter und die Betroffenen haben besonders gut auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten.
3. Schlaganfälle:
Taucher, die einen Schlaganfall erlitten haben, können motorische oder kognitive Einschränkungen aufweisen. Diese können sehr subtil und im Alltag vernachlässigbar sein, bei herausfordernden Situationen, wie sie beim Tauchen jederzeit auftreten können, aber zum Problem werden.
4. Mechanische Herzklappen oder andere Herzimplantate:
Diese können eine Antikoagulation erfordern, um Gerinnselbildung zu verhindern. Hier gilt das Obgenannte bezüglich physischer Belastbarkeit und Einstellung der Gerinnung auf Reisen.
Spezifische Tauchrisiken unter Blutverdünnern
1. Blutungsrisiko:
Barotrauma der Nasennebenhöhlen (Sinus-Barotrauma)
Eine häufige Tauchverletzung, die durch mangelnden Druckausgleich in den Nasennebenhöhlen verursacht wird. Ein Sinusbarotrauma ist zwar in der Regel geringfügig, kann aber bei Personen, die Blutverdünner einnehmen, zu starkem Nasenbluten führen, das länger andauern kann. Blutungen in die Nasennebenhöhlen oder das Mittel- und Innenohr können zu starken Schmerzen, Verlegungen mit Behinderung des Druckausgleiches oder sogar Notfällen (bspw. Schwindel und Desorientierung) führen.
Verletzungen
Schnittwunden, Schürfwunden oder Prellungen, die beim Tauchen oder beim Hantieren mit der Ausrüstung entstehen, können zu übermäßigen Blutungen führen und die Wundversorgung erschweren. Man denke hier bspw. an eine Schnittwunde während eines Wracktauchganges oder eine Quetschung beim Aussteigen auf ein Boot.
2. Dekompressionskrankheit
Die Blasenbildung während der Dekompression kann Mikroblutungen verursachen. Normalerweise kontrolliert die Blutgerinnung diese. Unter Antikoagulantien ist diese beeinträchtigt. So können Dekompressionszwischenfälle bspw. mit Beteiligung des Rückenmarks schwerere Ausmasse annehmen.
3. Verwechslung mit anderen Problemen
Symptome innerer Blutungen wie Schwindel oder Kurzatmigkeit können fälschlicherweise für die Dekompressionskrankheit oder andere tauchbedingte Erkrankungen gehalten werden, was eine angemessene Behandlung verzögern kann.
Unter gerinnungshemmenden Mitteln kann eine Blutung meist nur durch Druck auf die Wunde kontrolliert werden. Dies ist bei inneren Blutungen nicht möglich. Deshalb können gewöhnliche Barotraumen leicht zu einem echten medizinischen Notfall werden.
Vorsichtsmaßnahmen und Empfehlungen
1. Medizinische Freigabe
Beratung durch Tauchmediziner dringend empfohlen Dies kann folgendes umfassen:
Grund für die Antikoagulation überprüfen.
Die Stabilität des Zustandes beurteilen.
Die Risikofaktoren der Person, einschließlich früherer Blutungsereignisse, einschätzen.
Die Fähigkeit zum Tauchen als Ganzes prüfen.
2. Tauchprofil
Konservative Tauchprofile einhalten, um das Risiko eines Barotraumas zu minimieren.
Tiefe und Grundzeit begrenzen.
Langsames Ab- und Auftauchen und sorgfältiges Tarieren.
Vorsicht bei besonderen Umständen wie Wracktauchgängen (scharfe Kanten) oder Überkopfumgebung (Prellungen).
Vorsicht bei Dekompressionstauchgängen
3. Umgang mit Medikamenten
Vitamin-K-Antagonisten (Marcoumar, Warfarin o.ä.):
Sich vergewissern, dass der INR-Wert innerhalb des therapeutischen Bereichs liegt. Tauchen vermeiden, wenn der INR-Wert zu hoch ist (z. B. >3,0), da das Blutungsrisiko erheblich steigt. Sicherstellen, dass der INR-Wert auf Reisen zuverlässig kontrolliert wird.
DOAC- und Thrombozytenaggregationshemmer:
Medikamente zuverlässig einnehmen. Keine Dosen auslassen.
4. Bereitschaft für den Notfall
Es empfiehlt sich, einen medizinischen Ausweis mit Medikamenten- und Diagnosenliste mit sich zu führen.
Buddies und Tauchlehrer sollten über die Erkrankung und die Blutverdünnung Bescheid wissen und darin geschult sind, potenzielle Blutungsnotfälle zu erkennen.
Sich Gedanken machen über den Zugang zu medizinischer Notfallversorgung, insbesondere an abgelegenen Tauchplätzen.
5. Tauchverbot bei aktiven oder kürzlichen Blutungen
Alle Anzeichen einer aktiven Blutung, wie z. B. kürzliches, starkes Nasenbluten oder Blut im Urin oder Stuhl, sollten vor dem Tauchen von einem Arzt untersucht werden.
6. Nasennebenhöhlenpflege und Flüssigkeitshaushalt
Genügende Flüssigkeitszufuhr und die Verwendung von Nasensalben können die Wahrscheinlichkeit von Nasentrockenheit und -reizung, die Blutungen auslösen können, verringern.
Flüssigkeitszufuhr hilft, die Dekompressionskrankheit zu verhindern.
7. Auf die Ernährung achten
Personen, die Vitamin-K-Antagonisten wie Marcoumar oder Warfarin einnehmen, sollten beachten, dass Veränderungen im Gehalt an Vitamin K in der Nahrung die Blutgerinnung beeinflussen können. Dies ist insbesondere auf Reisen relevant, da der Wechsel zu ungewohnter Kost, insbesondere bei längeren Aufenthalten, solche Schwankungen begünstigen kann.
"Dive your plan, plan your dive" und niveaugerechtes Tauchen
gelten beim Tauchen mit Blutverdünnern mehr denn je.
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