Bereits seit dem 17. Jahrhundert weiss man, dass Dekompression die Bildung von Gasblasen im Organismus auslöst. Dem gegenüber steht die Erkenntnis, dass die Tendenz zur Blasenbildung keineswegs eine zwingende Eigenschaft einer Flüssigkeitslösung ist. Trotzdem bilden sich in biologischen Geweben unter Dekompression bereits bei physikalisch kleinen Druckunterschieden Gasblasen. Eine aktuelle Studie wirft Licht auf diesen Prozess, der bislang nie direkt beobachtet wurde.
Gasblasenbildung - kein zwangsläufiges Phänomen
In einem Lebewesen können bereits kleine Übersättigungen zur Blasenbildung führen, ganz im Gegensatz zu unbelebten Lösungen, in denen es nur unter massiver Übersättigung zur Blasenbildung kommt. So entsteht eine Neubildung von Blasen im Wasser erst bei einer Übersättigung von 190 bar für Stickstoff und 300 bar für Helium. Dies ist Folge des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik, der besagt, dass für die Zunahme der Ordnung (viel) Energie in ein System investiert werden muss. (Gasblasen repräsentieren eine höhere Ordnung gegenüber dem Zustand eines vollständig in einer Flüssigkeit gelösten Stoffes, weil das Inertgas in den Blasen «geordnet» wird und nicht mehr unter der Brown’schen Molekularbewegung frei gelöst in der Flüssigkeit herumschwirrt.) Dies kann nicht spontan geschehen. Wird ausserdem berücksichtigt, dass eine Blase den Gewebedruck überwinden muss, um zu wachsen, wird klar, dass die Tendenz zur Blasenbildung keineswegs eine zwingende Eigenschaft einer biologischen Flüssigkeit ist. Experimente mit Einzellern, in denen erst unter sehr hohen Übersättigungsbedingungen Blasen provoziert werden konnten, unterstreichen dies.
Die Theorie der Mikroblasen
Dass beim Auftauchen dennoch Gasblasen gebildet werden, erklärt die Theorie der Mikroblasen: Sie dienen als Keimzellen, in die Inertgase unter Übersättigung hineindiffundieren, was zum Blasenwachstum führen soll. Dies konnte noch nie beobachtet werden. Auch über die Herkunft dieser Mikroblasen kann nur spekuliert werden. Man nimmt an, dass Bewegung und die dadurch verursachten Scherkräfte lokale Mikrodekompressionen in den Geweben provozieren, welche Mikroblasen hervorrufen, ähnlich dem Schütteln einer Mineralwasserflasche.
Eine weitere Theorie besagt, dass Mikroblasen an Unebenheiten in Gefässwänden überdauern und wachsen, sobald durch Übersättigung Inertgas in sie hineindiffundiert, ähnlich der Beobachtung, dass Blasen immer an der gleichen Stelle eines mit Mineralwasser gefüllten Glases entstehen.
Gasblasen und ihr physiologischer Nutzen
Blasen haben auch eine physiologische Funktion: Sie entlasten die Übersättigung eines Gewebes und es ist denkbar, dass Blasen das Auswaschen eines Inertgases aus dem Gewebe fördern, denn in einer Blase kann viel mehr Inertgas transportiert werden als gelöst im Blut.
Die Gefässinnenschicht - Der Schlüssel zum Verständnis der DCI?
Ran Arieli vom marinemedizinischen Institut der israelischen Streitkräfte untersuchte die Prozesse der Blasenbildung mithilfe der Elektronen- und Atomkraftmikroskopie in Nanobereich. In einer vorangegangenen Studie konnte er zeigen, dass Mikroblasen (=Nanobubbles) in Blutgefässen nur an Stellen auftreten, welche wasserabweisend (hydrophob) sind. Diese «active hydrophobic spots» (AHS) sind Orte, wo die Gefässinnenschicht (Endothel) von Lipiden (Fetten) überzogen sind.
In der aktuellen Studie wurde untersucht, wie sich die Gefässoberfläche unter Dekompression verhält. Dazu wurden Gefässzellen von Schafen unter Druck gesetzt und danach dekomprimiert. An den Stellen, wo Nanobubbles entstanden, war keine intakte Gefässschicht mehr vorhanden, sondern lag die darunterliegende Proteinschicht (Elastin) frei. Nur in grösserem Abstand zu den AHS fand sich überhaupt noch intaktes Endothel. Diese Studie stützt somit die Annahme, dass die abgelösten Blasen die Endothelzellen abreißen und auf diese Weise die erste Verletzung der Gefässinnenschicht nach der Dekompression verursachen.
Diese Ergebnisse passen zum Verständnis der Dekompressionskrankheit (DCI), stützen die Theorie der Mikroblasenbildung und zeigen, dass Entzündungsvorgänge, ausgelöst durch Endothelverletzungen, einen wesentlichen Teil der DCI ausmachen. Dies erklärt auch, warum die DCI trotz Druckkammerbehandlung über Tage und Wochen fortschreiten kann.
Vom Mikro- in den Makrokosmos
Die Studienresultate aus der Mikrowelt passen bemerkenswert gut zu Beobachtungen in der Makrowelt. Die statistische Verteilung von Nanobubbles gleicht nämlich dem Auftreten von Blasen bei Tauchern.
Tauchprofile allein erklären das Auftreten von Blasen nicht vollständig. Weitere Faktoren wie Alter, Gesundheitszustand und Adaptationsvorgänge werden als Erklärungsansätze ins Feld geführt, welche gut zu den beobachteten Nanobubble-Phänomenen passen.
Dies bestätigt auch die aktuellste Forschung, welche zeigt, dass das Auftreten von Blasen sehr grossen intraindividuellen Schwankungen unterworfen ist und zwar auch bei identischem Tauchprofil, wie in diesem blog-Beitrag bereits besprochen wurde.
So ergibt sich ein immer vollständigeres Bild der Dekompressionskrankheit und ihrer Auslöser, deren Zusammenhänge sich konsistent von den Vorgängen in der Mikrowelt bis zu den Phänomenen, welche wir als Taucher selbst beobachten, spannen.
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