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Breakthrough III - Plura-Cave-Desaster revisited

Autorenbild: Michael MutterMichael Mutter

Seit ich den Film «Diving into the Unknown» über das Plura-Cave-Desaster gesehen habe, beschäftigt mich eine Frage: Wie kann es passieren, dass ein Rebreather-Taucher aufgrund von Stress plötzlich das Bewusstsein verliert und ertrinkt? Die Antwort könnte in der besonderen Funktionsweise des Kalk-Kanisters eines Rebreathers liegen.


Walensee. Foto: Karin Aggeler.
Walensee. Foto: Karin Aggeler.

Das Plura-Cave-Desaster

Im Jahr 2014 unternahmen fünf erfahrene finnische Höhlentaucher einen anspruchsvollen Tauchgang in der norwegischen Plura-Höhle – mit tragischem Ausgang. Zwei von ihnen verloren ihr Leben.


Die Gruppe war in eine Zweier- und eine Dreierformation aufgeteilt. In der größten Tiefe des Tauchgangs, etwa 130 Meter unter der Wasseroberfläche, blieb ein Taucher in einer Engstelle stecken. Er geriet in Panik und starb vermutlich binnen kurzer Zeit an einer Hyperkapnie (CO₂-Vergiftung).


Stunden später folgte die zweite Gruppe mit drei Tauchern. Sie stießen auf den Toten und die blockierte Stelle – und die Situation eskalierte erneut. Einer der Taucher geriet mutmaßlich in Panik und verstarb innerhalb weniger Minuten durch Ertrinken. Die übrigen drei konnten sich trotz schwerer Dekompressionskrankheit retten. Monate später bargen sie in einem weiteren, riskanten Tauchgang die Leichen ihrer Kameraden, nachdem offizielle Bergungsversuche gescheitert waren.


Tod durch Panik?

Ich maße mir nicht an, das Unglück endgültig zu bewerten. Doch eine entscheidende Frage bleibt: Warum erlitt der zweite verstorbene Taucher so plötzlich ein unkontrollierbares Atemproblem, das zu seinem Tod führte?


Es bestehen kaum Zweifel, dass auch bei ihm eine Hyperkapnie zur Bewusstlosigkeit führte. Auffällig ist jedoch, dass es keine Hinweise auf eine Fehlfunktion seines Geräts oder übermäßige körperliche Anstrengung gibt – zwei Hauptfaktoren, die normalerweise zu einer CO₂-Vergiftung beitragen können. Was also war mechanistisch der Auslöser für diesen fatalen Verlauf?


Eine mögliche Erklärung könnte in einer oft übersehenen Eigenschaft des Rebreathers liegen: der Interaktion zwischen CO₂ und dem Kalk des Scrubbers.


Die Bedeutung der CO₂-Kontaktzeit

Damit das CO₂ im Rebreather effektiv absorbiert wird, muss es ausreichend lange mit dem Kalk im Scrubber in Kontakt bleiben. Diese Kontaktzeit hängt von mehreren Faktoren ab:

  • Je weiter der CO₂-Weg durch den Scrubber und je dichter der Kalk gepackt ist, desto länger bleibt das CO₂ im Kontakt mit dem Absorptionsmittel.

  • Weniger Kalk oder eine lockere Packung des Scrubbers verkürzen die Kontaktzeit und verringern die CO₂-Absorption.


Doch ein weiterer entscheidender Faktor wird oft übersehen: das Atemminutenvolumen.


Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass eine höhere Atemfrequenz die CO₂-Elimination verbessert, weil das Gas häufiger durch den Kalk strömt. Doch paradoxerweise ist das Gegenteil der Fall. Je höher das Atemminutenvolumen, desto kürzer bleibt ein einzelnes CO₂-Molekül im Scrubber – und desto schlechter wird es absorbiert.


Der ehemalige Forschungsleiter der Navy Experimental Diving Unit (NEDU), John Clarke, beschreibt dieses Problem in seinem Buch «Breakthrough – Revealing the Secrets of Rebreather Scrubber Canisters». Seine Simulationen zeigen, dass die CO₂-Absorption abnimmt, sobald das Atemminutenvolumen über ein gewisses Mass steigt.


Der tödliche Teufelskreis der Panik

Genau dieses Prinzip kann einem Rebreather-Taucher in Panik zum Verhängnis werden. Panik führt zu Hyperventilation – die Atemfrequenz steigt dramatisch. Dadurch fließt das ausgeatmete Gas schneller durch den Scrubber, die CO₂-Kontaktzeit sinkt und weniger CO₂ wird gebunden. Ein gefährlicher Teufelskreis setzt ein: ansteigendes CO₂ führt zu einer weiteren Steigerung der Atemrate, die CO₂-Kontaktzeit sinkt weiter, was zu einem weiteren Anstieg des CO₂ führt usw. Schliesslich wird die Atemphysiologie durch weitere Faktoren wie bspw. den hohen Atemwiderstand aufgrund der Atemgasdichte überfordert. Das System dekompensiert und endet in einer schweren Hyperkapnie mit Bewusstlosigkeit. Genau dieser Mechanismus könnte den zweiten Todesfall im Plura-Cave-Desaster erklären – selbst wenn der Taucher anfangs kein CO₂-Problem hatte.


Warum eine kontrollierte Atmung lebenswichtig ist

Leider sind CO₂-Kontaktzeit im scrubber und CO₂-Konzentration im Blut keine unabhängigen Parameter, sondern hängen zusammen. Denn je höher die CO₂-Konzentration im Blut, desto höher die Atemrate und desto kürzer die CO₂-Kontaktzeit im scrubber. Dies bedeutet im Fall eines hohen CO₂-Anfalles einen entscheidenden Nachteil: Gerade dann, wenn möglichst viel CO₂ absorbiert werden sollte, fällt die CO₂-Kontaktzeit, wodurch die CO₂-Absorption im scrubber behindert wird.


Diese Erkenntnis verdeutlicht, wie essenziell es ist, während eines Rebreather-Tauchgangs eine hohe Atemfrequenz zu vermeiden. Selbst Notsituationen, die anfangs nicht durch erhöhtes CO₂ verursacht wurden, können durch Hyperventilation schnell außer Kontrolle geraten. Kommen weitere Faktoren wie ein hoher Atemwiderstand in der Tiefe oder starke körperliche Anstrengung hinzu, kann dies innerhalb kürzester Zeit in eine lebensbedrohliche Hyperkapnie mit Bewusstlosigkeit und Ertrinken münden.

 
 
 

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