Eine Frühgeburt kann die funktionelle und anatomische Entwicklung des Atmungssystems, besonders der Atemregulation, erheblich beeinträchtigen und den Hintergrund für verschiedene lebenslange, medizinische Spätfolgen bilden. Frühgeburtlichkeit wird mit Veränderungen der hyperkapnischen Reaktion im Erwachsenenalter (Atemantwort auf erhöhtes CO2) in Verbindung gebracht. Die veränderte Atemantwort auf CO2 könnte sich auf das Freitauchen auswirken. Eine Studie untersuchte deshalb, wie hoch der Anteil von ehemaligen Frühgeborenen unter Elite-FreitaucherInnen ist – und fand Erstaunliches.
Die besten FreitaucherInnen der Welt (gemäss AIDA-Ranking der Jahre 2016-2021) wurden mittels Fragebogen zu ihrem Geburtstermin befragt. Von den 146 TeilnehmerInnen waren insgesamt 17.1% als Frühgeburt zur Welt gekommen, davon 13.7% mässig (32. – 37. Schwangerschaftswoche) und 3.4 % sehr früh (vor der 32. Schwangerschaftswoche). Dies Zahlen sind doppelt so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung (8.5%, abgeschätzt auf die geographische Herkunft der TaucherInnen).
Die Tauchleistungen der Früh- und Termingeborenen unterschieden sich allerdings nicht.
Es stellt sich die Frage, ob Frühgeburtlichkeit und damit einhergehende Veränderungen der Atemantwort auf den CO2-Partialdruck einen Vorteil für das Freitauchen bieten und der Anteil von ehemaligen Frühgeborenen an der Freitauchweltspitze deshalb höher ist. Es wird spekuliert, dass eine verminderte CO2-Empfindlichkeit einen diesbezüglichen Vorteil bieten könnte; sprich, dass ehemalige Frühgeborene deshalb länger den Atem anhalten können, weil der Atemdrive des CO2 abgeschwächt ist. Die Frage ist offen, denn es existieren auch Studienresultate, welche in die entgegengesetzte Richtung zeigen, indem ehemalige Frühgeborene eine höhere Empfindlichkeit für CO2 aufweisen, womit sie bezüglich Atemanhaltens benachteiligt wären.
Über das Atemanhalten hinaus könnten auch andere Veränderungen physiologischer Reaktionen, die längere Apnoe-Tauchgänge ermöglichen, infrage kommen. So existieren Daten aus der Höhenmedizin, welche zeigen, dass bei ehemaligen frühgeborenen, aber ansonsten gesunden Erwachsenen die Empfindlichkeit des Baroreflexes, welcher die Aufrechterhaltung des arteriellen Blutdruckes via Dehnungsrezeptoren in der Hals- und Hauptschlagader zum Ziel hat, unter Sauerstoffmangel (Hypoxie) im Vergleich zu Termingeborenen abgeschwächt ist, insbesondere auch unter Hyperkapnie (erhöhtem CO2). Dies ist ein Hinweis darauf, dass Frühgeburtlichkeit bis ins Erwachsenenalter tief in die vegetative Regulation eingreifen kann. Inwiefern sich daraus ein Vorteil für das Freitauchen ergibt, ist offen.
Der Befund der Studie ist zweifelsohne bemerkenswert, auch wenn die Stichprobe aus epidemiologischer Sicht klein ist. Sie dürfte kaum dem Zufall geschuldet sein, auch wenn die Gründe dafür noch im Dunkeln bleiben.
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