Eisbaden liegt voll im Trend und Kurse für Atemtechnik schiessen wie Pilze aus dem Boden. Der Hype macht auch vor dem dekoblog nicht halt. Leser wollten wissen, ob Eisbaden, die Wim-Hof-Methode und das holotrope Atmen Vorteile für das Tauchen bringen. In einem ersten Teil möchte ich das Eisbaden beleuchten.
Sehenswert. The Ice Dive auf Netflix.
Lange Tradition
In den nördlichen Ländern ist Eisbaden traditionell verwurzelt und wird unter verschiedenen Begriffen wie Eisschwimmen, Winterschwimmen oder Kältebaden praktiziert. Generell wird zwischen dem Schwimmen in Eiswasser mit Temperaturen von -2 bis +2°C, eiskaltem Wasser von +2,1 bis 5°C und kaltem Wasser von +5,1 bis +9°C gesprochen. Dieser Artikel bietet einen Überblick über die Effekte des Eisbadens, ohne klare Abgrenzungen zwischen den Begriffen vorzunehmen, und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Persönlich habe ich wenig Zweifel, dass sich regelmässige, moderate Kälteexposition günstig auf Gesundheit und Befindlichkeit auswirkt. Was aber sagt die Wissenschaft dazu?
Kurzfristiges Risiko...
Das Eintauchen in kaltes Wasser birgt zunächst einmal Risiken, da es zwei unterschiedliche autonome Reaktionen hervorruft: die Kälteschockreaktion und den Tauchreflex. Letzterer, durch die Befeuchtung und Abkühlung von Gesicht und Nasenlöchern ausgelöst, führt zu langsamem Puls (Sinusbradykardie), peripherer Vasokonstriktion (Engstellung der peripheren Gefässe) zur Blutumleitung in lebenswichtige Organe und Atemstopp. Umgekehrt führt die Kälteschockreaktion, durch Kälterezeptoren in der Haut getriggert, zu schnellem Puls (Tachykardie) und nach Luft schnappen bis zur Hyperventilation sowie Bluthochdruck. Man ist sich heute sicher, dass dieser sogenannte autonome Konflikt zu Herzrhythmusstörungen beiträgt und eine Mitursache ist für das Syndrom des stummen Ertrinkens beim Schwimmen im oder Sprung in kaltes Wasser. Ein Eisbad wirkt daher eher als unmittelbares Herzkreislaufrisiko und ist ungeeignet für Herzkranke.
... mit langfristigem Benefit
Ähnlich dem Sportparadoxon, das besagt, dass das Sterberisiko während des Sportreibens kurzfristig erhöht ist, (Ausdauer-)Sport aber langfristig zu einem geringeren Sterberisiko führt, scheint regelmäßiges Eisbaden günstige Effekte zu haben, sofern es in vernünftigem Rahmen praktiziert wird.
Es beeinflusst im Blut kardiovaskuläre Risikomarker günstig, die mit Atherosklerose (Arterienverkalkung) und Thrombenbildung (Gerinnsel) zusammenhängen, was auf eine herzschützende Wirkung hinweist. Kälteexposition erhöht den Blutdruck akut, doch regelmäßiges Eisbaden scheint diesen nicht nachhaltig zu steigern und führt nicht zu Bluthochdruck. Zudem bewirkt regelmässiges Eisbaden eine signifikante Verringerung der Kälteschockreaktion, was dessen Anhängerschaft wohl unisono bestätigen würde.
Wenn die periphere Vasokonstriktion nicht ausreicht, um die Körpertemperatur konstant zu halten, setzen ab einer Körperkerntemperatur von gut 36°C kontinuierliche, asynchrone Muskelkontraktionen ein, die wir als Schüttelfrost kennen. Er steigert die metabolische Basalrate bis zum Fünffachen und generiert somit zwar weniger Energie als aktive Betätigung, ist im Eisbad aber effektiver, da unter Stillhalten weniger Wärme durch Konvektion verloren geht.
Adaptation der Wärmegewinnung
Neben dieser Form der Wärmegewinnung (Thermogenese) existiert eine weitere: Jene durch braunes Fettgewebe, das bei Neugeborenen eine wesentliche Rolle als Wärmelieferant spielt. Die Funktion beim Erwachsenen ist aufgrund seiner geringen Restmenge umstritten. Allerdings mehren sich Hinweise, dass weißes Fettgewebe unter regelmäßiger Kälteexposition teilweise die Funktion von braunem Fettgewebe annehmen kann. Winterschwimmer haben eine höhere Thermogenese, was u.a. daran festgemacht wird, dass Schüttelfrost bei ihnen mit einer Verzögerung von bis zu 40 Minuten einsetzt. Die Adaptation scheint also beträchtlich zu sein, und regelmäßige Eisbader fühlen sich im Kaltwasser entsprechend wohl.
Allerdings scheint der Effekt auf den Komfort nur anzuhalten, wenn man sich regelmässig kaltem Wasser aussetzt. Nach wenigen Kaltbädern kommt es zu einer raschen Gewöhnung an die Kälte, die einige Wochen anhält, aber ohne dauerhafte Anpassung. Eine Studie bei Koreanischen Perltaucherinnen, den Ama, zeigte, dass auch altgediente Taucherinnen ihren Kältekomfort langsam verloren, sobald sie von der traditionellen Baumwoll-Tauchbekleidung auf besser isolierende Neoprenanzüge wechselten.
Kälteexposition greift auch ins Hormonsystem ein, indem bspw. Adiponektin hochreguliert wird, ein Schlüsselprotein aus dem Fettgewebe zum Schutz vor Diabetes und Atherosklerose.
Gute-Laune-Hormone
Winterschwimmen ist zwar ein extremer Stressfaktor, wird aber von vielen als vergnügliche Freizeitbeschäftigung praktiziert. Akute Kälteeinwirkung lässt das Nebennierenmark Katecholamine, Stresshormone, ausschütten, jedes Mal, auch bei regelmäßigen Eisbädern. Ihre Wirkung im Blut und die Sekretion von Noradrenalin in den Synapsen des Gehirns im Zusammenspiel mit anderen Neurotransmittern wie Beta-Endorphin und Dopamin, die den Glückshormonen zugeordnet werden, welche durch den sehr starken Kältereiz aus der Peripherie ausgelöst wird, greifen direkt ins limbische System ein, wo Emotionen verarbeitet und generiert werden. Dies bildet die Grundlage für die Hypothese, dass Kaltwasser einen "Adrenalin-Kick" auslöst und antidepressiv wirkt. Tatsächlich fühlen sich regelmäßige Winterschwimmer besser gelaunt und energiegeladener. Eisbäder scheinen Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Schmerzen und die Befindlichkeit bei chronischen rheumatischen Erkrankungen positiv zu beeinflussen.
Entzündungshemmung
Neben Katecholaminen werden im Kaltwasser weitere Stresshormone wie Kortisol und ACTH sowie diverse Gewebshormone ausgeschüttet, welche als starke Entzündungshemmer wirken. Auch die direkte, günstige Wirkung auf das Immunsystem ist gut belegt, obwohl es offen ist, ob moderate Winterschwimmer tatsächlich weniger häufig an Infekten des Atemtrakts leiden als der Durchschnitt.
Eisbäder sind im Leistungssport als Regenerationsmassnahmen nicht mehr wegzudenken. Ihr Effekt auf die Erholung ist sportmedizinisch gut untermauert, wobei der Mechanismus zu einem grossen Teil ebenfalls über die günstige Modulation von Reperatur- und Entzündungsvorgängen läuft.
Mögliche Gefahren
Hier ist in erster Linie die akute Herzkreislaufbelastung infolge Kälteschockreaktion und Tauchreflex zu nennen. Akute Kälteexposition führt zu Engstellung der Herzkranzgefäße mit der Gefahr einer Minderdurchblutung des Herzmuskels. Herzschmerzen (Angina pectoris), Pumpfunktionsstörungen und Rhythmusstörungen können die Folge sein. Zudem tritt das SIPE (swimming induced pulmonary edema) in kaltem Wasser häufiger auf. Bei Husten, Kurzatmigkeit und Blutspucken nach dem Schwimmen muss immer an ein SIPE gedacht werden. Es überrascht nicht, dass exzessives Kälteschwimmen zu vermehrten Infekten der Atemwege führt, vor allem bei länger anhaltendem Schüttelfrost während und nach dem Schwimmen. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass das Einatmen kalter Luft und die Abkühlung der Körperoberfläche zu einer Verengung der Bronchien und einer verstärkten Vasokonstriktion mit Minderdurchblutung der Nasenschleimhaut führen, die lokale Immunabwehr beeinträchtigen und Infekte begünstigen.
Vorteile fürs Tauchen?
Ein Teil des günstigen Effekts verschwindet, wenn man sich nicht regelmäßig Kaltwasser aussetzt. Einen direkten Profit für das Tauchen abzuleiten ist schwierig. Ein Bekannter berichtet, dass er sich zwar gesunder und fitter fühle, seit er regelmäßig im Kaltwasser schwimme, beim Gerätetauchen ohne Heizung jedoch immer noch gleich stark friere. Spezifische Effekte für das Tauchen über die allgemeine Verbesserung der Gesundheit hinaus wissenschaftlich festzumachen, ist nicht möglich.
Fazit
Regelmäßiges Baden in kaltem Wasser kann sich positiv auf verschiedene Bereiche wie das Herz-Kreislauf-System, die Hormone, das Immunsystem, die Entzündungskaskade und die Psyche auszuwirken. Gleichzeitig kann es jedoch auch ein Gesundheitsrisiko darstellen. Dies gilt insbesondere für Menschen mit Herzkreislaufproblemen. Um die Vorteile des Kaltwasserschwimmens optimal nutzen zu können, wird ein stufenweises Akklimatisierungsprogramm empfohlen. Wenige Minuten Kältebaden dürften für einen positiven Effekt genügen. Auch ob in "eiskaltem" oder nur in "kaltem" Wasser gebadet wird, spielt wohl keine wesentliche Rolle. Letzten Endes scheint es - wie immer - eine Frage des Augenmaßes zu sein, ob Nutzen oder Schaden angerichtet wird.
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